Sie tragen ihre Habseligkeiten bei sich oder haben sie auf Wagen geladen, Männer, Frauen und Kinder in langen Trecks, Angst und Hoffnung im Blick. So haben die Maler des 17. und 18. Jahrhunderts sie verewigt: die in Frankreich verfolgten Hugenotten auf ihrem Weg nach Brandenburg-Preußen. So haben die Reporter bei Kriegsende sie fotografiert: die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen »Ostgebieten«. Und so sehen wir sie heute: die Flüchtlinge, die auf Autobahnen und durch Wald und Wiesen den deutschen Grenzen zustreben.
Von jeher lösen diese Bilder gemischte Gefühle aus: Mitleid mit den Einzelnen, Angst vor ihrer schieren Zahl und nicht zuletzt Begehrlichkeiten – denn kommen da nicht jede Menge Arbeitskräfte und Fachleute? So war es bereits, als deutsche Landesherren nach dem Dreißigjährigen Krieg ausländische Arbeitswanderer und Glaubensflüchtlinge willkommen hießen. Nächstenliebe, ließen sie verkünden, habe sie dazu bewogen. Doch mindestens so wichtig war es ihnen, die durch den Krieg verheerten Lande wieder zu beleben. Die Untertanen protestierten. Je nach Sichtweise waren die Einwanderer Opfer, denen es zu helfen, eine Gefahr, die es abzuwehren, oder eine Chance, die es zu ergreifen galt.
Die deutsche Migrationsgeschichte – ob sie von den Ruhrpolen im Kaiserreich handelt, von den »Gastarbeitern« der Bundesrepublik oder den Jugoslawienflüchtlingen der neunziger Jahre – erzählt immer wieder von diesem Konflikt: auf der einen Seite der legitime Wunsch der Neuankömmlinge nach Schutz und einem guten Leben, auf der anderen die legitimen Bedürfnisse des Staates nach Kontrolle und »allgemeiner Wohlfahrt«.
Nur eines, zeigt die Geschichte, gibt es nicht: ein Anrecht auf ethnische und kulturelle Homogenität. Als Gefahr für den sozialen Frieden haben sich denn auch stets diejenigen erwiesen, die diese Gefahr mit den gröbsten Worten heraufbeschworen haben – im Namen von Volk, Deutschtum und »Abendland«. Fast 600 Angriffe gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte hat man bisher dieses Jahr gezählt, dreimal so viele wie 2014. Diese Zahlen sollten uns mit Blick auf die deutsche Geschichte stärker beunruhigen als die von 800 000 oder einer Million erwarteten Flüchtlingen. Erfahrung mit Flucht und Einwanderung (und wahrlich nicht die schlechteste!) haben wir schließlich seit mehr als 400 Jahren.
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