Wie können wir uns ein Bild von einem Menschen machen, der vor 2000 Jahren starb? Briefe haben wir nicht und auch kein Tagebuch. Bilder, die uns exakte Auskunft geben, wie eine Fotografie es könnte, existieren nicht.
Was Augustus, Roms erster Kaiser, der Nachwelt in Stein gemeißelt hinterlassen hat, sind die Res Gestae, sein Tatenbericht, den der Historiker Theodor Mommsen im 19. Jahrhundert einmal »die Königin der antiken Inschriften« nannte. Ferner können wir die alten Schriftsteller und Historiker lesen, von Horaz über Ovid bis Sueton. Verglichen mit dem Quellenreichtum der jüngeren Geschichte ist dies wenig. Und doch verrät uns dieses wenige viel. Denn die antiken Texte schildern einen Menschen voll faszinierender Widersprüche.
Augustus war ein Herrscher und Beherrscher des Übergangs. In den Wirren des Bürgerkriegs nach der Ermordung seines Adoptivvaters Iulius Caesar kämpfte und mordete er sich an die Spitze des zerrütteten römischen Staats und etablierte ein neues politisches System im Gewand des alten. Formal war Rom noch immer eine Republik, hinter der Fassade aber hatte nun einzig er, der Prinzeps, das Sagen. Die römische Kaiserzeit begann.
Die alten Eliten mit der neuen Ordnung versöhnt zu haben war seine große Leistung. Herrscher von Karl dem Großen bis Napoleon bewunderten ihn. Welches Mittel aber rechtfertigt welchen Zweck? Diese Frage, so zeigen es die Autorinnen und Autoren dieses Heftes, stellt sich für jedes Kapitel der augusteischen Geschichte aufs Neue. Woran muss sich ein Staatsmann messen lassen? Allein am Ergebnis seiner Taten oder auch an moralischen Maßstäben?
Das Bild des Augustus, das wir durch solche Befragung gewinnen, ist durch und durch ambivalent. Licht und Schatten liegen nah beieinander: Der Friedensstifter war zugleich ein Kriegstreiber, der große Versöhner ein kalter Machtmensch. So bleibt Augustus glänzendes Vorbild und abschreckendes Beispiel in einem. Genau deshalb aber vermag die Auseinandersetzung mit ihm selbst aktuelle Krisen des Übergangs noch zu erhellen. Denn auch wenn er als Gestalt historisch ist – die Muster seines Handelns begegnen uns bis heute.
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