Das sagt sich so leicht, 70 Jahre danach: Befreiung. 1985, als der kürzlich verstorbene Richard von Weizsäcker den 8. Mai 1945 einen »Tag der Befreiung« nannte, fiel dieses Wort vor allem den Konservativen noch sehr viel schwerer. Damals waren die Erinnerungen jener noch präsent, die das Kriegsende erlebt hatten und die an vieles denken mochten, an den Schwarzmarkt und den Hunger, an Vertreibung und Bombenkrieg, an die Verbitterung über das erlittene Leid und vielleicht auch die Scham über verübte Verbrechen. Aber Befreiung? Diese Wahrheit mussten viele Deutsche erst lernen.
Heute ist uns das Wort von der Befreiung so geläufig, dass wir etwas anderes neu erkennen müssen: die historische Wirklichkeit dahinter in all ihren Widersprüchen, die Vielfalt menschlicher Erfahrungen in jenen dramatischen Monaten, in denen der Zweite Weltkrieg zu Ende ging – nicht nur in Deutschland. 1945 war das Jahr eines weltweiten Umbruchs. Befreit von der nationalsozialistischen Diktatur wurden gewiss nicht zuerst »die Deutschen«. Befreit wurden die Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager, befreit wurden die Länder, die von der Wehrmacht besetzt waren.
Diese Befreiung brachte auch die Wahrheit über die deutschen Verbrechen ans Licht. Und sie ging nicht nur hierzulande mit Schrecken und Zerstörung einher. In vielen Ländern Europas herrschte größeres Elend als im besiegten »Reich«. In Japan endete das Schlachten erst im August nach dem Abwurf zweier Atombomben. In der Sowjetunion begann 1945 eine neue Phase des stalinistischen Terrors.
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